Als Kolumbus Kartoffeln und Gold aus Amerika zurückbrachte, wurden die Könige der europäischen Seefahrnationen von Gier gepackt. Sie rüsteten teure Schiffe aus und gaben den besten Seeleuten den Auftrag, möglichst viele Schätze aus Übersee herbei zu schaffen.
Was hätte ich wohl gemacht, wenn ich mit so einem Auftrag monatelang erfolglos auf den gefährlichen Weltmeeren herumgesegelt wäre? Ich stelle mir vor, dass ich bei der Rückkehr einen kleinen Goldklumpen kaufe und ihn dem König mit einer fantastischen Geschichte überreiche. Ich erzähle ihm von Inseln mit gastfreundlichen Einheimischen. Dort scheint immer die Sonne, und die Bäume hängen voller süsser Früchte. Das Gold liegt haufenweise auf der Strasse. Leider hat es aber in der Nähe riesige Seeungeheuer. Sie sind so gross wie ein Königspalast und haben zehn Meter lange, spitze Zähne. Aus ihren roten Augen fliegen Funken, und ihre gelben Krallen sind mit Gift gefüllt. Nur mit List und Tapferkeit gelang es uns, ihnen zu entkommen. Leider haben diese Ungeheuer meine Aufzeichnungen gefressen. Darum kann ich die Lage der Inseln nur auf etwa hundert Seemeilen genau angeben. Der König kann es ja nicht auf Google Maps überprüfen.
Natürlich weigert sich der König, die versprochene Belohnung zu zahlen. Aber ich muss froh sein, dass er mich und meine Leute nicht einen Kopf kürzer macht.
So sind wohl die schönen Karten entstanden, mit denen dieser «Atlas der erfundenen Orte» illustriert ist. Andere Inseln verdanken ihren Eintrag optischen Täuschungen. Zum Teil sind die Fehler erst nach vielen Jahrhunderten bemerkt worden. Sogar im Jahr 2012 ist noch eine Insel in Neukaledonien auf offiziellen Karten gelöscht worden, weil es sie nicht gibt.
Am besten liest man das Buch im Schaukelstuhl auf dem Balkon bei böigem Westwind mit einem Glas Rum. Man kann es allerdings auch im bücherraum f mit einem exotischen Tee geniessen.
Monika Saxer
Edward Brooke-Hitching: Atlas der erfundenen Orte. Die grössten Irrtümer und Lügen auf Landkarten. dtv, 5. Auflage, München 2023.