Wie der Stahl gehärtet wurde

bücherräumereien (IX)

Ein Buch aus der Sowjetunion lag in der Schweiz beschlagnahmt in einem Gewölbe des Bundeshauses. Derweil musste sein Autor während der Stalinisierung seine Version fortlaufend aktualisieren.

Das Buch erzählt eine seiner Editionsgeschichten in einem eingeklebten Beiblatt gleich selbst. Danach lag es, als No. 1270, vier Jahre lang auf Geheiss der Schweizer Bundesanwaltschaft in einem Gewölbe des Bundeshauses. Im Zweiten Weltkrieg glaubte die offizielle Schweiz ja, ihre Neutralität mit Verboten gegen links und rechts unter Beweis stellen zu müssen, während sie gleichzeitig Gold- und Waffenlieferungen für Nazi-Deutschland ermöglichte; doch dann, als sich die Niederlage des faschistischen Deutschland abzeichnete, wurde das Buch aus der Sowjetunion im Mai 1945 offenbar freigegeben.

Eine zweite Editionsgeschichte besteht darin, dass der Autor Nikolai Ostrowski (1904 – 1936) in den verschiedenen sowjetischen Ausgaben 1932 und 1934, während der Verschärfung der Stalinisierung, seine Versionen der jeweiligen Parteilinie anpasste. Die erste deutsche – anonyme – Übersetzung erschien 1939 in Kiew im Staatsverlag der nationalen Minderheiten der UdSSR, nachdem die nationale Mehrheit in der Ukraine bereits massiv unterdrückt worden war.

Der Titel hat natürlich epigrammatischen Charakter. «Wie der Stahl gehärtet wurde» zeigt anhand von engagierten Fabrikarbeitern sowohl die reale Stahlproduktion, wie noch viel stärker: wie ein Land, nämlich die Sowjetunion, und wie die Menschen darin gehärtet wurden. Da ist in erster Linie Pawel «Pawka» Kortschagin. Der trägt deutlich autobiografische Züge. Nach einer kursorischen Rekapitulation seiner Jugend in der Ukraine setzt das Buch ein mit dem Sturz des Zarenreichs und dann dem Bürgerkrieg, als sich der Siebzehnjährige der Roten Armee anschliesst, und es reicht bis zu den innerparteilichen Auseinandersetzungen 1923/24 um Lenins Tod herum. Pawel kämpft, wie einst Ostrowski selbst, in Budjonnys Roter Reiterarmee gegen weisse und polnische Streitkräfte, verliert dabei die Sehkraft in einem Auge, wird Funktionär bei den Komsomolzen, dem kommunistischen Jugendverband, um den Aufbau der Sowjetmacht und die Kollektivierung der Landwirtschaft voranzutreiben; gegen Ende des Buchs erblindet er ganz und wird beinahe gelähmt. So diktiert er, wie einst Ostrowski, seine Erfahrungen, und mit dem dann veröffentlichten Buch reiht er sich nach eigenem Bekunden wieder in die bolschewistische «Kampfreihe» ein.

«Wie der Stahl gehärtet wurde» ist ein paradigmatisches Werk des sozialistischen Realismus, war auch in der DDR weit verbreitet, sogar unter Schweizer KommunistInnen halbwegs Pflichtlektüre. Der Kampf ist heroisch, der Held rappelt sich bei allen Schicksalsschlägen immer wieder auf, das Gute – der wahre Kommunismus – siegt. Die Sprache ist hoch schiessend, zuweilen klischiert. Das erzeugt durchaus einen Sog: die glühend engagierte Jugend, die die alte, überlieferte Welt radikal umwälzt. Man könnte geradezu von einem sowjetischen Steppenwolf sprechen. Als Bericht über den brutalen Bürgerkrieg hat es zudem dokumentarischen Charakter, so wenn die standrechtliche Erschiessung von linken Milizionären, die Frauen vergewaltigt haben, beschrieben wird, und zwar für einmal kontrovers. Es gibt auch ein paar interessante Figuren und Lebensläufe, etwa unterschiedlich engagierte Bolschewisten und Komsomolzen. Und dann die Frauen! Deren Emanzipation vollzieht sich, vorbildhaft, vor allem politisch, womit sie teilweise die Männer hinter sich zurücklassen; aber sie zeigt sich doch auch in geändertem Verhalten, wenn sie sich den gängigen Geschlechterklischees beim erotischen Werben entziehen.

Letztlich ist das Buch allerdings strikt linientreu, und ab 1923 werden die linke Arbeiteropposition und der «Trotzkismus» zunehmend heftiger als Abweichung vom «wahren» Bolschewismus verdammt – die späteren mörderischen Konsequenzen dieser Verfemung haben es dann nicht mehr ins Buch geschafft.

2004 ist das Buch in Deutschland überraschenderweise neu aufgelegt worden, im Leipziger Kinderbuchverlag. Ein jüngerer Autor, in der DD geboren, aber so jung, dass er um die Buchlektüre als Kind herumgekommen ist, hat daraufhin im «Neuen Deutschland» zwiespältig darüber geschrieben: Selten habe ihn ein Buch «gleichzeitig so fasziniert und abgestossen», fasziniert durch die Bedingungslosigkeit des Engagements, abgestossen durch die Ignoranz anderen Wahrheiten gegenüber. Das Buch ist beim Verlag weiterhin vorrätig, und es wäre eine weitere kulturgeschichtliche Vignette, welchen Jugendlichen es heute gekauft wird und wie diese es lesen.

sh

«Wie der Stahl gehärtet wurde» in der Ausgabe von 1939 befindet sich in der Politisch-philosophischen Bibliothek f des bücherraums f im Gestell 13 in der Abteilung DK.2 (Sowjetunion).