Ex Libris und ein schottischer Schriftsteller. –
Weder in Schottland, noch gar in England weiss man, was man an ihm hat. Dabei hat der britische Schriftsteller Stuart Hood (1915-2011) in seinen zehn Romanen zentrale Themen des politischen 20. Jahrhunderts behandelt, ebenso anschaulich wie eindringlich. Doch seine Bücher sind, abgesehen vom autobiografischen «Carlino», nur noch antiquarisch erhältlich. Und wenn sie aus den grossen Lagerbeständen des Antiquariats «Rare Books» verschifft werden, lassen sich daran kleine Rezeptionsgeschichten ablesen.
Da ist zum Beispiel ein Exemplar des Romans «A Den of Foxes», in Plastik eingebunden, wie es Bibliotheken erstaunlicherweise immer noch zu tun pflegen, und mit einem entsprechenden Ex Libris versehen. Dieses stammt von der Ackworth School, Fiction Library, und trägt das Datum vom 30. März 1992. Das Buch war 1991 erschienen, die Bibliothek hat es also bald danach erworben. Ackworth ist eine altehrwürdige nicht-staatliche Quäker-Schule in West Yorkshire, in den nördlichen Midlands. Gegründet wurde sie 1779 in Pontefract von John Fothergill (1712-1780), einem bekannten Arzt und Botaniker, der auch als ein Pionier der Mund-zu-Mund-Beatmung in die Geschichte eingegangen ist. Zur Schule gehörte, damals nicht ganz unüblich, ein Kinderspital. Heute weist die Schule 513 SchülerInnen auf, davon sind 77 Boarders, also ganztägige InternatsschülerInnen. Das Ex Libris – nicht allzu professionell gezeichnet, womöglich Resultat eines internen Zeichnungswettbewerbs, und auch dies wohl von jüngeren Klassen – bildet in Frontalsicht das Hauptgebäude der Schule ab, das noch immer im Stil des späten 18. Jahrhunderts existiert. Während Schulzimmer, Essräume und Internats-Schlafzimmer in funktional nüchternem Stil modernisiert worden sind, atmet die Bibliothek, ganz in Holz, mit klassizistischen Büsten, Standuhr und Stichen an der Wand, weiterhin die Atmosphäre von versunkenen Lektürestunden. Wann Hoods Buch von dieser gastlichen Stätte verwiesen wurde, bleibt unklar. Es muss aber eine Reise noch weiter nach Norden angetreten haben, in Hoods nähere Heimat. Denn der vorliegenden Ausgabe liegt ein Bahn-Ticket bei, ausgestellt am 19. Mai 2009 in der Station Edinburgh Wavereley. Bei einem Preis von £ 14.90 kann die Fahrt allerdings angesichts der britischen Eisenbahntickets nicht weit geführt haben.
Ein zweites antiquarisch erworbenes Buch von Stuart Hood, «A Storm from Paradise» (1985), kommt mit einem schönen Ex Libris von David Betteridge in Form von rotem blühenden Mohn. Womöglich handelt es sich beim Vorbesitzer um den schottischen Schriftsteller David Betteridge (*1941), was Sinn ergäbe, da dieser sich politisch in ähnlicher Richtung wie einst Hood geäussert hat. Warum aber hätte er dann das sich noch in gutem Zustand befindliche Buch weggegeben?
Eindeutig in Hoods Heimat führt ein weiteres antiquarisches Exemplar. Dabei handelt es sich um ein frühes Werk, «Since the Fall», von 1955. Die vorliegende Ausgabe stammt ebenfalls aus einer Bibliothek, nämlich der «Angus and Kincardineshire County Library», angesiedelt in Montrose in der Grafschaft Angus im Nordosten Schottlands. Hood wurde etwa 35 Kilometer davon entfernt, in Edzell/Angus geboren. In einer eingebundenen Vorseite werden alle Bibliotheksregeln aufgeführt, darunter der bemerkenswerte Hinweis, dass ansteckende Krankheiten in einem Haushalt, in den ein Buch ausgeliehen worden ist, sofort gemeldet werden müssen. Hoods Buch ist offenbar kurz nach Erscheinen erworben und 1956 immerhin fünfmal ausgeliehen worden. Danach ging es wohl für einige Jahre vergessen; erst 1963, als Hoods erfolgreichstes Werk «Carlino» erschien, wurde es nochmals ausgelesen. Da zwei weitere Ausleihen im Jahr 1987 vermerkt sind, darf davon ausgegangen, dass angesichts dieses geradezu regen Interesses das Buch noch ein paar Jahre auf einem Regal stehen blieb, bis es endgültig ausrangiert wurde. Die Bibliotheken in der Grafschaft Angus sind mittlerweile neu organisiert worden; gegenwärtig hat die Montrose Library noch drei Bücher von Stuart Hood, jenes ausrangierte aus der ehemaligen County Library allerdings nicht mehr. Auch in Schottland weiss man nicht, was man an seinem Werk hat.
Auf Deutsch sind drei Bücher von Stuart Hood im Buchhandel erhältlich, alle bei der edition 8 erschienen: «Carlino» (2002), «Das verrohte Herz» (2008) und «Das Buch Judith» (2020). Alle höchst empfehlenswert.
Stefan Howald