Eine Tradition feministischer Bücher

Liebe Freund*Innen von Widersprüchen, liebe Anwesende

Es freut uns, Euch hier im bücherraum f für diese Vernissage des neuen Widerspruch begrüssen zu dürfen. Die Nummer 74, die wir vorstellen möchten, bietet nicht nur eine Fülle an neuen Stoffen, sondern sie trägt auch ein neues Kleid. Das neue, elegantere Layout gliedert deutlicher, bietet ein fotografisch angereichertes Titelblatt, dazu längere Inhaltsangaben, sorgfältig erarbeitet; ein Wermutstropfen bleiben leere Seiten, die man vielleicht aus ökologischen wie inhaltlichen Gründen hätte füllen können. Ihr könnt das mit den bisherigen Ausgaben vergleichen, denen die gegenwärtige Redaktion freundlicherweise ein «schickes Achtzigerjahre-Layout» zugesprochen hat; sie befinden sich in diesem Gestell, in aller Farbenpracht, die den einstigen Regenbogen der edition suhrkamp weiterführt. Mit der Umgestaltung ist auch eine neue Rubrik eingeführt worden: «Spezial», was natürlich neugierig macht. Dem Spezial im neuen Heft 74 wollen wir uns an diesem Abend widmen.

Das ist ja sehr angebracht: Im vorliegenden Widerspruch-Spezial stellen elf Autorinnen elf feministische Bücher vor, und der bücherraum f enthält eine feministische Bibliothek, schema f, mit über 10000 Bänden. Die meisten Bücher aus der Widerspruch-Auswahl sind hier vorhanden, einseh- und ausleihbar, wobei die Politisch-philosophische Bibliothek linkerhand auch mit ein oder zwei Titeln aushelfen kann. So entsteht eine kleine, aber feine Geschichte feministischer Theorie und ihrer historisch-aktuellen Aneignung.

Das Spezial beginnt standesgemäss mit dem Standardwerk von Simone de Beauvoir, «Das andere Geschlecht» (1949). Es liegt bei uns in einer handlichen Taschenbuchausgabe vor. Elisabeth Joris, die 2018 als eine der ersten an einer Veranstaltung im bücherraum f auftrat, weist darauf hin, dass das Buch trotz gewisser Einwände «weiterhin ein radikales Werk von epochaler Bedeutung» sei. Insbesondere bleibe die Analyse «der machtspezifischen Wirksamkeit der Produktion des ‹Anderen› auch heute noch von höchstem politischen Interesse». Im Übrigen können wir auch eine französische Ausgabe vorweisen, nicht gerade die Erstausgabe von 1949, aber immerhin von 1958. Und das ist nicht ganz unerheblich, weil Joanna Biggs in einem langen Artikel über Simone de Beauvoir in der «London Review of Books» soeben darauf hingewiesen hat, dass «Le deuxième sexe» im angelsächsischen Raum nur in zwei ungenügenden Übersetzungen erhältlich sei.

Iris von Roten ist mit «Frauen im Laufgitter» unter den elf ausgewählten Autorinnen die einzige Schweizerin. Sibylle Stillhart erwähnt, dass die – für das Erscheinungsjahr 1958 optimistisch hoch angesetzte – Erstauflage von 3000 Exemplaren nach elf Wochen ausverkauft war. Tatsächlich, das Exemplar in unserer Bibliothek gehört bereits zur dritten Auflage 1959, vorhanden ist auch die Neuauflage, die 1991 erstaunlich spät erfolgte. Das Buch bleibt «originell und weitsichtig», dies auch aus eher zwiespältigem Grund: Weil manche Ideen bis heute nicht in die Tat umgesetzt sind. Deshalb schlägt Sibylle Stillhart vor, die Lektüre «in den Schulunterricht zu integrieren».

Nun springen wir ein wenig geografisch, von der Schweiz in die weite Welt. Die Studie «Frauen, die letzte Kolonie» haben Claudia von Werlhof, Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen im Jahr 1983 publiziert und sich dabei wesentlich auf die Dritte Welt, die Länder des Südens bezogen. Wir springen auch ein wenig zeitlich, zu einer neuen theoretischen und politischen Generation. Regula Flury erläutert, was das Buch für die autonomen Feministinnen der Achtziger bedeutet habe – nicht nur die Überwindung der Doktrin von Haupt- und Nebenwiderspruch – zu der sich einige ältliche Veranschaulichungen in der Politisch-philosophischen Bibliothek befinden. Sondern vor allem die «theoretische Einbettung der unbezahlten oder schlecht bezahlten und mehrheitlich von Frauen geleisteten Reproduktionsarbeit in die kapitalistische Ökonomie», und dies unter «Einbezug einer globalen Perspektive auf Subsistenzarbeit im Süden». Silvia Federici hat dann in «Caliban und die Hexe» (2004) dieses Thema wieder aufgegriffen, indem sie, wie Rahel Locher zeigt, den marxschen Akkumulationsbegriff erweitert und nicht als abgeschlossenen, vielmehr als weiter gehenden Prozess betrachtet. Federici hat in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt, wohl stärker als der Bielefelder Ansatz von Werlhofs et al., vielleicht weil sie sich stärker in einer aktivistischen Bewegung verortet – dem italienischen Operaismus – und damit «an den konkreten Kämpfen der Menschen» orientiert.

Zeitlich noch vor diesen beiden Büchern, zumindest im US-amerikanischen Original, liegt der Kampf um eine neue Identität in Audre Lordes «ZAMI. Eine neue Schreibweise meines Namens» (1982). Von Lorde haben wir zwei später ins Deutsche übersetzte Bücher in den Beständen, die stärker zum damals von schema f schwerpunktmässig gesammelten Thema Körper/Gesundheit passen. Für Rahel El-Maawi allerdings hatte gerade das frühere Buch ganz konkrete Auswirkungen: Lorde «war und ist eine wichtige Wegbereiterin für einen intersektional verstandenen Feminismus» und «prägt meinen Aktivismus massgeblich»; auf diesem Hintergrund ist auch die Gründung des Schweizer Netzwerk Schwarze Frauen Bla*Sh im Jahr 2013 zu verstehen.

In umgekehrter Hinsicht hat der Aufsatz von Christina Thürmer-Rohr «Aus der Täuschung in die Ent-Täuschung» (1983) für Shelley Berlowitz «bahnbrechend» gewirkt, und zwar weil er «den weissen westlichen Feminismus aus der Komfortzone geschleudert» habe. «Der Gedanke der Mittäterschaft» (der übrigens weiterhin auch eine Herausforderung für eine geschlechtergerechte Sprache darstellt) habe einen neuen «Denk-Weg eröffnet»: «Wie funktioniert Macht in unserem Gesellschaftssystem? Wie stützen wir diese Macht, wie stimmen wir ihr zu, wie lassen wir sie geschehen oder arbeiten ihr zu?» 1987 ist er im Sammelband «Vagabundinnen» wieder abgedruckt worden; in diesen Zusammenhang gehören auch Beiträge von Frigga Haug, die in mehreren Bänden zur Opfer/Täter-Debatte gesammelt sind.

Gender und Identität und Identitätspolitik: Wie könnten da Luce Irigaray und Judith Butler fehlen? Luce Irigarays «Ethik der sexuellen Differenz» (1984) wird von Tove Soiland vorgestellt, von der selbstverständlich auch die profunde Studie «Luce Irigarays Denken der sexuellen Differenz» im bücherraum f vorhanden ist. Irigaray versuche keine Definition männlicher und weiblicher Wesenheiten, sondern zeige einen «in den symbolischen Strukturen eingelagerten phantasmatischen Bezug zum Körper der Mutter», der «eine Art Magma, oder Nacht» darstelle, aus der die Männer, die Menschheit unentgeltlich alles Nährende, Belebende bezögen.

Patricia Purtschert beschreibt ihre anfängliche Irritation durch Judith Butlers «Das Unbehagen der Geschlechter» (1990), das sowohl sprachlicher wie inhaltlicher Natur gewesen sei, da Butler «mehrere Prämissen eines vorherrschenden Feminismus in Frage» gestellt habe; noch immer reibt sie sich daran, findet am Buch aber unvergleichlich anregend «den Gestus der feministischen Kritik, den es beharrlich und virtuos vorführt, auch auf sich selbst anzuwenden». In der Ausleihstatistik von schema f für das Jahr 1993 gewinnt Butler übrigens das Rennen gegenüber Iris von Roten mit einer Länge.                                                                                                                                                                                                                          

Nun kommen zwei Titel, bei denen wir leider passen müssen. Schema f hat ja eine Lücke von einem guten Jahrzehnt, und genau das decken diese beiden Titel ab. Die Lektüre von Virginie Despentes «King Kong Theorie» (2006) bedeutete für Naiara Korta Martiartu ein «feministisches Werden», da sich Despentes um die «Randzonen, das Monströse» bemühe. Ihre brutale Ehrlichkeit im Beschreiben von Hässlichkeit und Unerwünschtem münde in einen «Aufruf, sich eine postgeschlechtliche oder postidentitäre Möglichkeit vorzustellen. Eine Überschreitung des Binären. Ein Monster*werden». Ebenso nahe auf den Leib rückt Kirsten Achteliks «Selbstbestimme Norm» (2015) über pränatale Untersuchungen. Für Aisha Fahmy wird darin analysiert, wie das Konzept der Selbstbestimmung verhängnisvoll durch die neoliberale Individualisierung und Atomisierung vereinnahmt werde, statt sich an einer solidarischen Gesellschaft auszurichten. Dabei ermögliche das Buch einen direkten Anschluss und eine Weiterschreibung früherer feministischer Bewegungen. «Alle, die den selbst ernannten ‹Lebensschützern› mehr als nur ‹Mein Bauch gehört mir!› entgegnen wollen, sollten dieses Buch lesen.» Wie gesagt, diese beiden Bücher stehen nicht in unseren Regalen – wir nehmen sie aber gerne als Geschenke entgegen.

Den Schluss macht, ganz angemessen, die Kultur. Andi Zeisler zerzaust in ihrem Buch «Wir waren doch mal Feministinnen» (2016) die Pop- ebenso wie die Alltagskultur. Da fühlen wir uns wieder auf etwas sichererem Boden – von den Spice Girls ebenso wie von den Riot Grrrls haben selbst ältere Semester schon mal gehört. Lisia Bürgi nennt einige der ebenso witzig wie scharf beschriebenen alltagskulturellen Phänomene aus Zeislers Buch, die Frauen seit Neustem wieder als Selbstbestimmung angeboten würden: vom Make-up über flache Schuhe bis zum Velofahren. Doch dieser «Verwässerung und Vermarktung feministischer Ideale» sei im Gegenzug eine «nachhaltige und kritische feministische Kultur» entgegenzustellen.

So weit ein kurzer Streifzug durch das «Spezial» des Widerspruch 74. Natürlich enthält die Nummer 74 mit dem Schwerpunkt «Frauen*streiken» daneben zahlreiche gehaltvolle Artikel: nicht spezial, aber speziell. Und damit laden wir Euch zur weiteren Lektüre ein, unterstützt von etwas Rosé und rosaroten Häppchen.